Clichés, Kinodias und Kalender

Herbst 2022
Vom Einspänner im Adressbuch über das farbige Dia im Schwarzweisskino bis zum Kampf um Telefonkabinen: Nicht nur die Firma Settelen, sondern auch ihre Werbung war stets vom Zeitgeist und den technischen Möglichkeiten geprägt. Deshalb lohnt sich der Blick auf ausgewählte Settelen-Werbung aus der «Mottenkiste».

Werbung hat eine weit zurückreichende Tradition. Die ältesten Zeugnisse stammen aus Indien, wo schon lange vor unserer Zeitrechnung kommerzielle Wandmalereien angefertigt wurden. In antiken Städten war Reklame an der Tagesordnung, wie das Beispiel Pompeji zeigt: Durch die Lavaströme und den Ascheregen des Vesuvausbruches im Jahre 79 blieben erstaunliche Zeugnisse an unzähligen Häusern und Wänden erhalten, die auch heute aktuell wären. Beworben wurden etwa Politiker (Bruttius Balbus «wird die Stadtkasse schonen») oder Imbissbuden.

Das Rösslitram als Werbeträger

Im ausgehenden 19. Jahrhundert dienten in unserer Region in erster Linie Tageszeitungen als Werbeplattformen. Kleininserate füllten die Zeitungsspalten. Aus der Anfangszeit des Settelen-Betriebes ist jedoch keine Annonce überliefert. Denn als Julius Settelen 1883 die Familienschneiderei seinem Bruder Victor überliess und das Rösslitram aus der Konkursmasse seines künftigen Schwiegervaters übernahm, musste er sparen. Trotzdem war Werbung für «sein» Rösslitram überlebenswichtig. Das neue Transportmittel war zwar modern, aber defizitär. Den geschätzten Einnahmen aus den Billettverkäufen von etwas über 100 000 Franken standen nicht nur die Löhne von gut 55 000 und die Kosten für das Pferdefutter von mindestens 40 000 Franken gegenüber. Zu Buche schlugen auch der allgemeine Betriebsaufwand, Versicherungen, Schuldzinsen und Rückstellungen für den Pferdeersatz sowie für die Omnibusse – alles in allem rund 20 000 Franken. Deshalb musste Julius Settelen wo immer möglich Werbeflächen verkaufen. Er stellte die Billette (für Schokolade) und das Rösslitram selber für Fremdwerbung zur Verfügung. Schriftzüge von Hotels, Bijouterien, Uhren, Mode oder Schokolade zierten die Rückseiten der Plattformen und der Fensterflächen. Damit war das Rösslitram wohl einer der ersten mobilen Werbeträger. Wie weit diese zusätzlichen Erträge das miserable Betriebsergebnis verbesserten, lässt sich heute nicht mehr genau abschätzen. Aber die zusätzlichen Werbeeinnahmen verhinderten wohl einen zweiten Konkurs.

Das erste Inserat für Settelen

Am 31. März 1892 fällte der Grosse Rat der Stadt Basel einen wegweisenden Entscheid: Mit grossem Mehr entschied er sich dafür, die elektrische Strassenbahn als kommunales Unternehmen zu führen. Die Stunden des Rösslitrams waren gezählt und Julius Settelen musste sich nach einem neuen Standbein für seinen Betrieb umsehen. Deshalb kaufte er am 16. Juni 1892 zusammen mit seinem Bruder Ernst für Fr. 280 000Franken die «Basler Droschkenanstalt» der Witwe Louis Herdener an der Davidsgasse. Aus dieser Zeit stammt das älteste überlieferte Settelen-Inserat. Die Werbung für die «Basler Droschkenanstalt Gebr. Settelen» befindet sich im Basler Adressbuch 1893, zeigt einen eleganten Einspänner und bewirbt mit dem Slogan «Erstes ältestes Geschäft» die ganze Palette der Angebote. Bemerkenswert dabei ist, dass die Brüder offensichtlich nicht nur das Geschäft von der Witwe Herdener erworben hatten, sondern auch den Werbespruch und die Druckvorlage (das Cliché) für das Inserat. Denn ein fast identisches Inserat für die Droschkenanstalt Herdener findet sich bereits im Basler Adressbuch von 1885.

Der erste Lastwagen, das erste Kinodia

Nachdem 1908 mit den ersten Taxis die Motorisierung des Betriebes begonnen hatte, kaufte die Basler Droschkenanstalt Settelen 1919 ihren ersten benzinbetriebenen Lastwagen – einen  Saurer-Kipper für Fr. 36 300 Franken. Das damals topmoderne Gefährt sollte auch mit neuartigen Mitteln beworben werden. Es lag deshalb nahe, mit dem Saurer in den aufkommenden «Lichtspieltheatern» präsent zu sein. Kurz nach dem ersten Weltkrieg erhielten die Theater Basels Konkurrenz durch die boomenden Kinos, die von kritischen Zeitgenossen gerügt wurden, weil sie lediglich «auf den Instinkt der Masse» abzielten. Die jährlich verkauften Kino-Tickets stiegen von einer Million (1921) auf 2,5 Millionen (1931). In dieser Zeit bewarb Settelen seinen ersten Lastwagen mit einem kolorierten Kinodia – die im Kino gezeigten Filme waren noch schwarzweiss und die allermeisten ohne Ton dafür mit Klavierbegleitung. Der beworbene Saurer-Kipper wurde durch das erste Settelen-Kinodia zurecht «geadelt». Er beendete 1964 nach 1,2 Millionen gefahrenen Kilometern seine Dienstzeit bei Settelen und landete auf dem Robinsonspielplatz Volta ‒ einem der ersten Europas.

Zündhölzer und Kalender

In der Zwischenkriegszeit war der Taxi-Markt Basels hart umkämpft. Die Zahl der konzessionierten Taxis wuchs von 26 (1923) bis zum Beginn der Weltwirtschaftskrise (1931) auf 137. Die grosse Konkurrenz liess die Gewinnmargen der Unternehmen schrumpfen. Um die Taxis zu füllen, buhlten die Konkurrenten deshalb auf unterschiedlichen Ebenen um Kundschaft. Ein beliebtes Taxi-Werbemittel jener Zeit stammte aus dem täglichen Gebrauch und ist heute aus dem Alltag verschwunden. Die Chauffeure verteilten Zündholz-Briefchen mit der Telefonnummer des jeweiligen Taxi-Anbieters an ihre Kundschaft. Eine wichtige Werbeplattform waren auch die heute weitgehend verschwundenen Telefonkabinen. In Basel wuchs ihre Zahl von 1921 bis 1932 von 31 auf 104 (in der gleichen Zeit verdoppelten sich die Ortsanschlüsse auf gut 16 000). Mitarbeitende von Settelen hatten die Aufgabe, möglichst viele Abreisskalender publikumswirksam bei den Telefonstationen von Restaurants, Büros oder Amtsstellen aufzuhängen und immer wieder zu kontrollieren, ob sie noch da waren. Denn es soll vorgekommen sein, dass in Telefonkabinen aufgehängte Settelen-Kalender plötzlich verschwunden waren und stattdessen ein Kalender das Taxi eines Konkurrenten bewarb. Trotzdem blieb Settelen dem Taxi treu. Erst 1995 – nach 87jähriger Tätigkeit in der Taxi-Branche – ging dieses Engagement zu Ende.

Droschkiers und Schriftsetzer, die das erste Settelen-Inserat setzten, Operateure, die das erste Settelen-Kinodia projizierten und die allermeisten Telefonkabinen existieren nicht mehr in unserer Region. Aber die Druckvorlage für den eleganten Einspänner aus den 1880er Jahren und das Kinodia aus den 1920er Jahren haben überlebt. Als Zeugnisse historischer Werbung schlummern sie im Archiv der Settelen AG.

SOLCHE TAFELN MIT ABREISSKALENDERN ZIERTEN UM 1930 DIE TELEFONKABINEN BASELS UND BEWARBEN DIE DAMALIGEN TAXI-UNTERNEHMEN