Herbst 2021
Vor 100 Jahren plante Settelen die Anschaffung des ersten Autocars. Aus diesem Anlass werfen wir einen Blick auf einige wichtige und weniger wichtige Entwicklungsschritte des «Automobils», die letztlich zu seinem Siegeszug im 20. Jahrhundert führten.
Wohl kaum eine andere technische Errungenschaft hat so viele Väter (und kaum eine überlieferte Mutter) wie das Automobil. Grundvoraussetzung war die Erfindung des Wagenrades. Ab etwa 4000 v. Chr. entwickelte es sich etwa gleichzeitig in Kulturen Europas, Vorderasiens und Nordafrikas. Unzählige Innovationen waren notwendig – nicht nur im 19. Jahrhundert – bis aus dem Rad ein modernes Auto werden konnte. Im Folgenden thematisieren wir einige Pioniertaten, die fast in Vergessenheit geraten sind.
Einen ersten wichtigen Entwicklungsschritt lieferte Heron von Alexandria († nach 62). Er entwarf und dokumentierte die erste bekannte Wärmekraftmaschine der Geschichte, die schon Grundelemente des heutigen Automobilmotors enthielt. Beim nach ihm benannten Heronsball gelangt Dampf aus einem beheizten Wasserkessel in eine drehbar gelagerte Kugel mit zwei Austrittsdüsen. Wenn der Dampf die Kugel durch die beiden Düsen verlässt, entsteht ein Rückstoss, der die Kugel in Drehung versetzt. Technisch gesehen handelt es sich um eine Reaktionsturbine. Seine Erfindung hatte in der Antike leider keinen praktischen Nutzen und wurde als Kuriosum angesehen. Damals sollten Erfindungen nicht die Arbeit erleichtern, sondern Kriege entscheiden. Erst im 18. Jahrhundert bewies Herons Erfindung ihren praktischen Nutzen: im Bergbau sowie in der Textilindustrie kamen erste stationäre Dampfmaschinen zum Einsatz. Und ab 1801 beförderten Dampfomnibusse Passagiere durch London.
Nebenbei bemerkt gilt Heron auch als Erfinder des ersten Verkaufsautomaten der Welt. Er beschrieb die Konstruktion eines Weihwasserautomaten, bei dem das Gewicht einer eingeworfenen Münze das geweihte Nass durch ein Metallrohr nach oben drückte. Auch dieser Erfindung war kein Erfolg beschieden.
Im ausgehenden 16. Jahrhundert wurde der Wind als Antrieb für Landfahrzeuge zu einem Thema. Berichte von Kaufleuten über Landsegler in China erreichten Europa. Dies inspirierte zahlreiche Tüftler zu wildesten Konstruktionen. Am meisten Aufsehen erregte der flämische Mathematiker und Erfinder Simon Stevin (1548–1620), der für Prinz Moritz von Oranien ein Fahrzeug mit Segeln bauen liess. Belegt ist, dass Stevin ungefähr im Jahr 1600 sein Gefährt mit «seinem» Prinzen und 26 anderen Edelleuten für eine längere Fahrt an der Küste von Scheveningen und Petten benutzte. Der Landsegler wurde allein vom Wind angetrieben und soll eine Geschwindigkeit erreicht haben, welche die von Pferden überstieg. Das Fahrzeug legte in weniger als zwei Stunden eine Strecke von etwa 95 km zurück. Es war damit schneller als die Dampfeisenbahn des 19. Jahrhunderts!
Volkswirtschaftlich blieben Landsegler immer unbedeutend. Wind als Antriebsenergie für Landfahrzeuge ist ungeeignet, denn bei Flaute oder kleinsten Steigungen kommt das Gefährt zum Stillstand. Immerhin konnte sich das Strandsegeln als eine Nischensportart etablieren, in der seit 1963 Weltmeisterschaften ausgetragen werden.
Heute fast vergessen ist ein Walliser Meilenstein in der Entwicklung des Automobils: zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzte weltweit der erste echte Verbrennungsmotor auf den Strassen des Bergkantons ein Gefährt in Bewegung! Als Energie diente ihm Wasserstoff.
Konstrukteur des knallenden Fahrzeugs war der Politiker und Unternehmer Isaac de Rivaz (1752–1828). 1804 baute er ein erstes unausgegorenes Modell, das ihm um die Ohren flog. «Der Kolben wurde gegen die Wand geschleudert, wo er den Putz entfernte.» Nach diesem einschneidenden Erlebnis entwickelte de Rivaz seinen Motor weiter und liess ihn 1807 beim französischen Innenministerium patentieren. Er sollte «verschiedene Maschinen in Gang […] setzen und den Dampf […] ersetzen». Im gleichen Jahr baute er sein erstes Gefährt zusammen.
Hauptteil seines Motors war ein grosser, senkrecht gestellter Zylinder, der einen Kolben und eine Brennkammer enthielt. Ein kleiner Ladekolben versorgte den Zylinder mit Wasserstoff, der aus der Destillation von Kohle gewonnen wurde. Aus der Umgebungsluft wurde dem Wasserstoff Sauerstoff zugeführt. Von Hand ausgelöste Zündungen liessen das Gasgemisch explodieren, das dadurch den Kolben im Zylinder nach oben trieb. Auf diesem war eine Zahnstange befestigt, deren Zähne beim Herabfallen des Kolbens in ein Zahnrad griffen. Dieses Zahnrad trieb dann über eine Kette ein Räderpaar an. Präsentationen seines Autos waren nicht von Erfolg gekrönt, weil die Zündungen der Maschine zu unregelmässig waren.
De Rivaz liess sich nicht unterkriegen. 1813 baute er ein über 6 Meter langes Gefährt mit einem 1,50 m hohen Zylinder und lieferte in Vevey eine spektakuläre Vorführung. 25 von Hand ausgelöste Zündungen liessen den Wagen im Schritttempo über hundert Meter rollen. Nach zwei weiteren Detonationen blieb das Fahrzeug stehen. Eine gebrochene Übertragungskette brachte das Experiment in Vevey zum Stillstand. Nach dieser ersten Fahrt eines Fahrzeugs mit Verbrennungsmotor in der Technikgeschichte hatte Isaac de Rivaz genug und brach sein ruinöses Unterfangen ab. Es sollte noch gut zwei Jahrhunderte dauern, bis die Entwicklung des Wasserstoffmotors soweit war, dass er zu einem Hoffnungsträger in der aktuellen Klimadiskussion werden konnte.