Das Basler Rösslitram Teil I

In Zusammenhang mit der Gründung der Settelen AG haben wir an dieser Stelle wiederholt über das «Rösslitram» berichtet. Vor allem der kurze Zeitabschnitt von 1881-1895 war für die Entwicklung der Firma sehr bedeutungsvoll und ist einer kritischen Betrachtung wert.
Dass die Stadt Basel ein Tram bräuchte, war bei der Regierung und dem Stadtparlament unbestritten. Beide schmetterten jedoch zwischen 1874 und 1881 ein gutes Dutzend Konzessionsgesuche für schienengebundene Trambahnen ab.

Viel Hin und Her bis zum ersten Tram-Omnibus

Flügelkämpfe zwischen den Parteien und die unterschwellige Angst vor den notwendigen Eingriffen in das Strassenbild verunmöglichten eine konstruktive Diskussion. Die Gesuche von Henri Imhoff zu Beginn der 1880er-Jahre für den Betrieb eines Tramomnibusses ermöglichten der Stadt einen Kompromiss auf dem «kleinstmöglichen gemeinsamen Nenner» (siehe «perseenlig», Frühling 2002).

Am 6. Juli 1881 erhielt Henri Imhoff eine jährlich zu erneuernde Konzession, die ein Monopol und ein Anrecht auf Erneuerung ausschloss. Er bezahlte eine Jahresgebühr pro Tramomnibus von 40 Franken und eine Platzreinigungsgebühr in ähnlicher Höhe.

Bereits fünf Tage später wurde die Linie zwischen den Bahnhöfen der Schweizerischen Centralbahn und der Königlich Badischen Eisenbahn eröffnet (Der Bad. Bahnhof lag damals auf dem heutigen Areal der Messe Basel. Der Riehenring hiess damals Bahnhofstrasse). Die Wagen verkehrten im 10-Minuten-Takt, alternierend auf der Route «F», d.h. via Freie Strasse-Aeschenplatz, und auf der Route «G», d.h. via Gerbergasse-Steinentorstrasse. Eingesetzt wurden 23-plätzige, geschlossene Winterwagen. Die Fahrzeit betrug 22 Minuten. Der Kutscher befuhr die ganze Strecke im «leichten Trab», dazu hatte er zu stehen. Nur über den Marktplatz und die Mittlere Brücke fuhr er im Schritttempo. Das Ein- und Aussteigen der Fahrgäste erfolgte bei voller Fahrt, nur ausnahmsweise, d.h. für «Frauenzimmer, Kinder oder sonst wie Behinderte», wurde angehalten. Der Fahrpreis betrug für die ganze 2,7 km lange Strecke 30 Rappen, für Teilstrecken von bis zu rund 900 m 10 Rappen.

Trotz der hohen Preise - der Stundenlohn eines Industriearbeiters lag bei 30 Rappen - setzte ein wahrer «run» auf das neue Verkehrsmittel ein. Am 1. Dezember 1881 führte Imhoff den Fahrplan mit 7½-Minuten-Takt ein und erweiterte das Liniennetz um die Linien Barfüsserplatz- Milchhüsli (heute Burgfelderplatz) via Spalentor und Schifflände-St. Johanntor im 40- resp. 30-Minuten-Takt. Dazu kamen spät abends Theaterkurse zum Centralbahnhof und zum Spalentor.

In den ersten fünfeinhalb Monaten beförderte Imhoff 440 000 Passagiere. Auch das erste Halbjahr 1882 brachte steigende Passagierzahlen.

Wirtschaftskrise und Übernahme durch Settelen

Dann erfasste die Wirtschaftskrise auch den Tramomnibus. Imhoff wollte die Nebenlinien schliessen. Der Regierungsrat verpflichtete ihn jedoch zur Weiterführung der arg defizitären Linie Barfüsserplatz - Milchhüsli. Am 2. Februar 1883 wurde über Henri Imhoff der Konkurs verhängt. Gläubiger führten den Betrieb provisorisch weiter. Einflussreiche Kreise, die am Fortbestand des Trams interessiert waren, drängten den erst 25-jährigen Julius Settelen das Unternehmen zu kaufen.
Mit einem unverbürgten Blankokredit der Handwerkerbank Basel ersteigerte er am 15. Februar 1883 den Tramomnibusbetrieb für Fr. 190 000.-. Dieser umfasste die Liegenschaft Solothurnerstrasse 12, 14 Tramomnibusse, 57 schwere Pferde und ein reichhaltiges Betriebsinventar. Aus dem Privatkonkurs Imhoff kaufte er drei weitere Pferde, 20 Pferdedecken sowie diverses Klein- und Büromaterial für Fr. 3646.45, u.a. einen Hundestall, der im Gantrodel mit einem Franken vermerkt ist. Dessen «Besitzer», der bissige schwarze Spitzer-Rüde «Philax», ist erstaunlicherweise nirgends aufgeführt, auf späteren Fotos aber immer noch präsent. Obwohl die Stadt kontinuierlich wuchs - in den Jahren 1881 bis 1895 von 61 170 auf 86 030 Einwohner - sank die Zahl der Trampassagiere von 802 613 (1882) auf 661 007 (1887). 1885 verkaufte Settelen vier seiner 14 Omnibusse, möglicherweise zur Liquiditätsbeschaffung. Ab 1888 stiegen die Zahlen kontinuierlich. Settelen bestellte in den folgenden Jahren beim Basler Carrossier Wolf sieben neue Omnibusse, u.a. zwei so genannte Sommerwagen. 1891 führte er den 6-Minuten-Takt ein. Im letzten vollen Betriebsjahr (1894) wurden 946 191 Fahrgäste befördert. Von der Eröffnung am 11. Juli 1881 bis zur Ablösung durch die Basler Strassenbahn am 6. Mai 1895 benützten 10.699.400 Menschen das Rösslitram.

Geniale Konstruktion

Die von Imhoff und Wolf gebauten Tramwagen entsprachen genau dem von Carrossier «Ripert» (Marseille) kreierten und in weiten Teilen Europas verbreiteten Pferdetramomnibus - auch aus heutiger Sicht eine wahrlich geniale Konstruktion. Bei einem bescheidenen Eigengewicht von rund 1300 kg wurde eine effektive Nutzlast von zwei Tonnen erreicht. Damit zwei Pferde den Wagen leicht ziehen konnten, mussten die eisenbereiften Räder einen möglichst grossen Durchmesser aufweisen. Um trotzdem einen niedrigen Einstieg zu haben, konstruierte «Ripert» einen dreiteiligen Bodenrahmen und brachte unter den Sitzbänken abgeschrägte Radkasten an. Damit ermöglichte er ein Einlenken der Vorderachse um 45°, was das Befahren enger Kurven in den verwinkelten Innenstädten erlaubte.

Für 23 Fahrgäste sowie je einen Kutscher und einen Kondukteur waren die Wagen geplant. Gemäss Zeitungsberichten sollen sich während den Stosszeiten aber bis zu 30 Fahrgäste in die Wagen gedrängt haben. Die Fahrgastfrequenz war in den warmen Sommermonaten 50 und mehr Prozent höher als in der kühlen Jahreszeit. Denn bei andauernder Trockenheit lag über den Strassenzügen der Stadt ein dichter, von den Fuhrwerken aufgewirbelter Dunst, der penetrant nach tierischen Fäkalien roch.

Mehr Annehmlichkeiten

Zudem ersparte das Tram den Damen und Herren des Mittelstandes, die bei jeder Jahreszeit ausschliesslich in kompletten Anzügen aus schwerem Wolltuch oder mit bodenlangen Röcken und hochgeschlossenen Blusen auf die Strasse gingen, einen zusätzlichen Schweiss-ausbruch. Der Mittelstand dürfte auch das Kundensegment des Trams gewesen sein, denn für den einfachen Bürger war diese Annehmlichkeit unerschwinglich und die Wohlhabenden der Stadt bedienten sich einer Droschke oder gar der eigenen Equipage.

Das Rösslitram verkehrte im Sommer zwischen Centralbahnhof und Badischem Bahnhof von 07.00 bis 21.12 Uhr, umgekehrt von 07.26 bis 21.38 Uhr, im Winter von 07.18 bis 20.30 Uhr bzw. 07.44 bis 20.56 Uhr. An Sonn- und Feiertagen wurde eine halbe Stunde länger gefahren.

1893 - in Genf hatten private Tramunternehmer bereits ein Schienennetz von 80 km verlegt - begann die Stadt, ohne ein genaues Konzept zu haben, anlässlich des Einbaus einer neuen Holzpflästerung in der Eisengasse und in der Aeschenvorstadt mit dem Verlegen von Tramschienen. Damit betonierte sie für alle Zeiten Basels einmalig enge Kurvenradien und die knappen, seitlichen Gleisabstände. 1894 entschied sich der Grosse Rat für die Verbindung der beiden Bahnhöfe die kaum erprobten und anfänglich wenig zuverlässigen elektrischen Oberleitungstrams von Siemens-Halske anzuschaffen. Am 6. Mai 1895 nahm das elektrische Tram den Betrieb auf. Damit verschwand das Rösslitram für ein knappes Jahrhundert aus dem Stadtbild.