Das Basler Rösslitram Teil II

Wie bereits berichtet, verband das Rösslitram die beiden Basler Bahnhöfe ab 7 Uhr morgens bis in die späten Abendstunden. Für das Fahrpersonal (22 Kutscher und Kondukteure) resultierte daraus ein 14- bis 15-stündiger Arbeitstag. Eine eigentliche Mittagspause gab es nicht. Die Angehörigen brachten dem Fahrpersonal die warme Mahlzeit zu den Bahnhöfen, wo für das Personal kurze Pausen eingeplant waren. Um diese zu gewährleisten, war während des ganzen Tages ein zusätzliches bemanntes Fahrzeug eingesetzt. Das Personal leistete an zehn hintereinander folgenden Tagen Dienst, der elfte Tag war ein unbezahlter Ruhetag. Das eidgenössische Fabrikgesetz von 1877, das die tägliche Arbeitszeit - bei einer 65-Stundenwoche - auf maximal 11 Stunden festschrieb und die Kinderarbeit verbot, galt nicht für die Dienstleistungsbetriebe! Das Fahrpersonal bezog einen Taglohn von 3 bis 4 Franken, je 3.20 Franken gab es für die sieben Stallknechte und je 2 Franken für die vier Vorspannjungen.

Da hatten es die Pferde fast besser! Sie wurden laufend ausgewechselt, denn kein Pferd schafft im Trab auf die Dauer 13 Touren oder 70 km - die durchschnittliche Tagesleistung eines Tramomnibusses. Zudem muss ein hart arbeitendes Pferd alle vier Stunden gefüttert und getränkt werden. Zusammen mit den Vorspannpferden, die an der Heuwaage und in der Freien Strasse stationiert waren, benötigte Settelen mindestens viereinhalb Pferde pro eingesetzten Omnibus. Jedes Pferd verzehrte täglich für zwei Franken Futter. Die Stallknechte kümmerten sich um Auswechslung, Pflege und Fütterung der Pferde. Für den Unterhalt der Wagen und Geschirre sowie den Pferdebeschlag waren Sattler, Schmiede und Wagner fest angestellt. Zusammen mit den Vorspannjungen, Kontrolleuren und «Commis» (so wurde damals in Basel ein Büroangestellter bezeichnet. Frz. commis de bureau) brauchte es letztlich für den Betrieb eines Wagens gegen vier Mann! Wiederholt bat Settelen den Regierungsrat um Erlass der Gebühren. Er begründete seine Gesuche mit der ungenügenden Rentabilität und dem Hinweis auf die «Wohlthätigkeit» seines Betriebes. Der Regierungsrat lehnte alle Gesuche ab, da er keinerlei öffentliches Interesse an der Tätigkeit Settelens sehen wollte. Auch aus heutiger Warte betrachtet, war dieses Geschäft kein wirkliches. 1891 wurden die Bahnhöfe im Sechs-Minuten-Takt bedient und dabei rund 765 000 Passagiere befördert. Dazu standen dauernd neun bemannte Omnibusse und die bereits erwähnte Reserveequipe im Einsatz. Den geschätzten Einnahmen aus dem Billettverkauf von wenig über 100 000 Franken standen Lohnkosten von gut 55 000 und Kosten für das Pferdefutter von mindestens 40 000 Franken gegenüber. Der allgemeine Betriebsaufwand inklusive Versicherungen machte ca. 7500 Franken aus, dazu zahlte Settelen der Bank Fr. 5415.15 Schuldzins. Zusätzlich hätte er jährlich Rückstellungen für den Pferdeersatz von ca. 6000 Franken und für die Omnibusse von 3500 Franken machen müssen. Es verwundert deshalb kaum, dass Settelen, der sich auf eine jährliche Rückzahlung von 5000 Franken des Bankkredites und maximal 5% Zins verpflichtet hatte, bald mit der Amortisation in Rückstand geriet. Er vermochte diesen Rückstand erst nach der Liquidation des Tramgeschäftes auszugleichen. Settelen stellte nicht nur seine Billette, sondern auch die Rückseiten der Plattformen und die Fensterflächen der Tramomnibusse für Fremdwerbung zur Verfügung. Wieweit dieser zusätzliche Ertrag das miserable Betriebsergebnis verbesserte, lässt sich heute nicht mehr abschätzen. Nur die Tatsache, dass Settelen den Betrieb zu einem Preis kaufen konnte, der etwa einen Drittel unter dem ursprünglichen Wert lag, verhinderte wohl den sonst sicher scheinenden zweiten Konkurs.

1894 lud der Regierungsrat auf Druck des Publikums Settelen ein, quasi als Zubringer Pferdetramlinien in den schnell wachsenden Vorstädten zu betreiben. Er war nun plötzlich bereit, diese Linien zu subventionieren. Frustriert vom Gebaren der Regierung, lehnte Settelen höflich ab. Er hatte 1892 auf Einladung dem Kanton unentgeltlich eine umfangreiche Studie über die temporäre Pferdetraktion des neuen Schienentrams abgeliefert (Im Nachhinein entschädigte der Grosse Rat Settelen mit 15 000 Franken für alle seine Vorarbeiten). Am 5. Mai 1895 nahm das Basler Publikum Abschied vom Pferdetram. Zusammen mit seinem Bruder Ernst widmete Settelen sich fortan vor allem der 1892 gegründeten «Basler Droschkenanstalt Gebrüder Settelen», die er in den wenigen, ihm verbleibenden Lebensjahren zu grosser Blüte führte (s. perseenlig Winter 2000/01 oder unter www.settelen.ch/de/ueber-uns/settelen-stories).

Das Basler Rösslitram in Winterthur

1895 wurde die Stadt Winterthur mit der Durchführung des Eidgenössischen Schützenfestes betraut. Auf Rechnung der «Tramgarantiegenossenschaft Winterthur» überführte Settelen Ende Mai in einer zweitägigen Reise 35 Pferde, einen Teil seiner Betriebseinrichtung und fünf Tramomnibusse an die Thur. Dort errichtete und betrieb er ab dem 1. Juni vier Tramlinien in die Vororte der Stadt. Für die Dauer des eigentlichen Schützenfestes vom 27. Juli bis 8. August schaffte er drei weitere Omnibusse und ein gutes Dutzend Pferde von Basel heran und verdichtete den Fahrplan zwischen Bahnhof und Festplatz auf dem Talgut auf fünf Minuten.

Das Winterthurer Volk war von der neuen Einrichtung begeistert - nicht so die Regierung. Gegen deren Willen konstituierte sich bereits Mitte August die «Tram-Omnibusgenossenschaft Winterthur». Sie kaufte Settelen drei Omnibusse sowie 18 Pferde ab und betrieb nun in eigener Regie, reduziert auf die Linie Winterthur-Töss, das Tramgeschäft weiter. Bereits im Juli 1897 ersetzte die Stadt diese Linie durch eine elektrische Strassenbahn. In rascher Folge verkaufte nun Settelen die übrigen Wagen nach Bern und Freiburg i.Br. Übrig blieb nur der Sommerwagen Nr. 21, der erst 1899 für Fr. 760.- an das Hotel Steinbock in Pontresina ging, wo er bis 1945 Sommergäste transportierte.

Wirtschaftlich musste die Rösslitramgeschichte für Julius Settelen frustrierend gewesen sein, sie hat aber sein Ansehen als dynamischer Unternehmer gefestigt. Sprach man ihn später auf den Tramomnibus an, so war sein einziger Kommentar: «Viil Gschär und kei Wulle!»

Das Rösslitram und die Publikumsgunst

Interessant ist, wie das Rösslitram über die wenigen Jahre in der Gunst des Publikums sank. Am 12. Juli 1881 schrieb der «Schweizerische Volksfreund»: «Die Fahrten sind sehr angenehm, da die Kasten auf ausgezeichneten Federn ruhen»; dagegen liest man am 25. Januar 1890 in der gleichen Zeitung, sie heisst jetzt «Nationalzeitung»: «... beim windstillen Wetter kann man beim Befahren der Aeschenvorstadt oder der unteren Freien Strasse ganz leicht sich dem Gefühl hergeben, als befinde man sich bei Sturmgebraus auf hohem Meere (...), um die Seekrankheit mitten in der Stadt zu bekommen ...»

35 Jahre später erinnert sich ein Herr Huber: «Wer sich an eine Fahrt über das holprige Strassenpflaster in diesem ungefederten Wagen im sanften ‹andante tempo› erinnert, wird sich unwillkürlich mit seiner Hand über die untere Rückenpartie fahren und sich fragen, ob's noch schmerzt.»

Die Wiederbelebung des Rösslitrams von 1992

Wie sich bestimmt viele Leser erinnern, wurde am 11. Juli 1992 - auf den Tag genau 111 Jahre nach der ersten Kursfahrt - das Basler Rösslitram zum zweiten Mal eingeweiht. Der Basler «Tramfan» David Rippmann und der von ihm gegründete «Verein Original Tram Basel» wollten das Rösslitram der Stadt zurückgeben. Unter Leitung von Eduard Belser, Dipl. Ing. ETH/Museologe Uni Basel, rekonstruierten 1991/92 französische und österreichische Spezialisten, praktisch «schraubengleich», einen Sommerwagen und einen Winterwagen. Finanziert wurde der Bau durch die Scheidegger-Thommen-Stiftung und unsere Firma. Der Verkauf und die Organisation der Fahrten oblagen dem Extrafahrtenbüro der BVB.

In den ersten Jahren bestand eine grosse Nachfrage nach dieser speziellen Art von Nostalgiefahrten. Die Bespannung besorgten professionelle Kutscher mit Pferden, die mit dem Strassenverkehr vertraut waren. Diese fanden sich im hinteren Leimental und mussten für jede Fahrt extra herangefahren werden, was das Vergnügen recht teuer machte. Leider liessen die Verkaufsanstrengungen seitens der BVB zunehmend nach und die Abstellplätze für die Omnibusse im BVB-Depot Wiesenplatz wurden wegen «Eigenbedarfs» auf das Jahr 2002 gekündigt. Da sich in der Stadt weder neue Abstellplätze noch eine effiziente Verkaufsorganisation finden liessen, löste sich der Trägerverein auf. Seit dem Sommer 2003 transportieren die beiden «Oldtimer» Gäste der Brauerei Feldschlösschen auf dem Firmenareal in Rheinfelden.