Das Taxi erobert Basel Teil I

Die Artikel der Serie «Von der Droschke zum Taxi» widmeten sich dem ersten öffentlichen Verkehrsmittel der Stadt Basel, der Droschke. Dabei richtete sich das Augenmerk nicht nur auf ihre historische Entwicklung zwischen 1853 und 1936. Im Fokus waren auch die Arbeitsbedingungen und die soziale Stellung der Droschkenkutscher und deren gesellschaftliches Umfeld sowie die nicht eben erfolgreichen Anfänge der «Baslerischen Droschkenanstalt AG», einer der beiden Vorgängerfirmen der heutigen Settelen AG.

Das Taxi

Jedermann weiss heute, was unter dem Begriff «Taxi» zu verstehen ist. Das war nicht immer so. In der Anfangsphase wurde dieses Gefährt offiziell als «Motordroschke» bezeichnet. In den Amtsstuben Basels bürgerte sich der Ausdruck «Taxi» erst in den 1940er Jahren ein. Der Ausdruck leitet sich vom «Taxameter» ab, einem Gerät, das seit den 1890er Jahren auf den Gespannsdroschken montiert wurde und dem Fahrgast auf der Basis des zurückgelegten Weges und der aufgewendeten Zeit den geschuldeten Fahrpreis aufzeigte.
Schon bald nach der Erfindung des Automobils (1886) wurden in verschiedenen Grossstädten Europas Motordroschken - meist wenig erfolgreich - eingesetzt. Wiederholt wurden in dieser Zeit Versuche mit Elektromobilen gemacht. Sie waren zwar erheblich zuverlässiger als die damaligen Verbrennungsmotoren, wegen ihrer geringen Reichweite, der langen Aufladezeiten der Batterien und des extremen Pneuverschleisses als Folge des hohen Gewichtes der Bleibatterien vermochten sie sich aber nicht durchzusetzen. Den Massstab, der zum Durchbruch dieses neuen Verkehrsmittels führte, setzten die drei Pariser Brüder Renault mit der Vorstellung des Modells AG 1 1905, von dem sie bereits 1906 1'500 Wagen an einen einzigen Pariser Taxihalter liefern konnten. Sie waren zwar erst 1898, also relativ spät, in die Produktion von Automobilen eingestiegen. Mit der grossen väterlichen Textilmaschinenfabrik im Rücken verfügten sie aber über die Finanzen und das industrielle «Know-how», um ein zuverlässiges und relativ preisgünstiges Gefährt in grossen Stückzahlen herzustellen. Renault lieferte anfänglich vor allem das Chassis, auf das die lokalen Kutschenbauer nach den Bedürfnissen der Kunden individuelle Karosserien aufsetzten. Deren Gestaltung orientierte sich an der Droschke: vorne ein ganz- oder halboffener Führersitz, hinten ein vier- bis fünfplätziger, Kabriolett- oder Coupéaufbau. Dieser musste hoch genug sein, damit ihn ein Fahrgast mit aufgesetztem Zylinder betreten konnte. Mit gegen 1000 Taxis dieses Typs, später von den Franzosen liebevoll als «Taxi de la Marne» bezeichnet, warf General Joseph Simon Gallieni am 5. und 6. September 1914 die 7. Infanterie Division in einer Blitzaktion von Paris an die Marne. Damit stoppte er den deutschen Vormarsch auf Paris, der am 12. September 1914 endgültig zum erliegen kam - was gleichzeitig den Anfang des über vierjährigen Grabenkrieges bedeutete.

Das Settelen Taxi

Am 21. Oktober 1906 erkundigten sich die Basler Droschkenanstalt Settelen und die Gebr. Keller gemeinsam schriftlich beim Polizeidepartement, ob dieses grundsätzlich bereit wäre, ihnen Konzessionen für die Aufstellung von Motordroschken zu erteilen. In einer internen handschriftlichen Notiz stellte der Polizeiinspektor fest, dass der Einführung von Motordroschken nichts entgegenzuhalten sei, dass aber nur Settelen und Keller die Mittel und die Sachkenntnis hätten, die Idee auch dauerhaft umzusetzen. Bereits am 22. November 1906 teilte der Vorsteher des Polizeidepartements den Anfragenden sein grundsätzliches Einverständnis mit und sicherte ihnen zu, dass sie als erste Konzessionäre berücksichtigt würden. Erst am 24. Juni 1908 reichten Settelen und Keller getrennte Konzessions-Gesuche für je zwei Autos mit Beginn auf den August und je einem Weiteren auf den Spätsommer ein. Postwendend erhielten sie Konzessionen für Standplätze auf dem Centralbahnplatz. Am 1. August 1908 wurde Basels Motordroschke Nr. 1, ein Settelen-Taxi von Renault, dem Verkehr übergeben. Im Gleichschritt und ohne sich gegenseitig gross weh zu tun, erhöhten Settelen und Keller die Konzessionen auf vorerst je acht im Jahre 1911.

Gestörter Frieden

Gestört wurde dieser Frieden durch das plötzliche Auftauchen der Firma Ed. Soller als neuer Konkurrent. Laut Polizeiinspektorat wurden dem neuen Betrieb «irrtümlicherweise» bereits auf Jahresmitte 1911 vier Konzessionen erteilt. Soller gewann gegenüber den bisherigen Platzherren einen gewichtigen Vorteil. Durch den Einsatz der deutschen «Benz Mannheim»- Taxiwagen und «Bergmann Metallurgique» Gaggenau-Tourenwagen konnte er die Grenzen ins benachbarte badische und elsässische Ausland ungestört passieren, wogegen Settelen und Keller bei einem Grenzübertritt ihre Franzosenautos verzollen, resp. den Zollbetrag hinterlegen mussten. Besonders profitierte Soller von dieser Regelung nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Aus militärischen Gründen führte die Badische Bahn ihre Personzüge nur noch bis zur Leopoldshöhe. Er besorgte den Weitertransport von Personen und Gepäck in die Stadt. Der Erfolg seiner Taktik lässt sich aus den erteilten Konzessionen während der Kriegsjahre ablesen. 1915 betrieb er gleichviel Fahrzeuge wie Keller und Settelen zusammen, die ihre Flotte reduziert hatten. Wie Soller zu den notwendigen Betriebsstoffen kam, bleibt bis heute schleierhaft. Wie bereits im «Persönlich» Sommer 2002 geschildert, war die Versorgung der Schweiz mit Benzin und Reifen während des Ersten Weltkrieges prekär, speziell nach dem Kriegeintritt Italiens am 25. Mai 1915. Beim Bezug von Benzin hatte die Armee absolute Priorität. Anstelle von Benzin betankte Settelen seine Fahrzeuge häufig mit Brennsprit, Leuchtpetrol und dem hochgiftigen Benzol. Da die Zündwilligkeit dieser verschiedenen Treibstoffe extrem unterschiedlich ist, wurde den Chauffeuren nicht nur viel Fingerspitzengefühl bei der dauernden Regulierung des Treibstoff/Luft-Gemisches und des Zündzeitpunktes sondern auch eine kräftige Muskulatur beim Anwerfen der Motoren abverlangt! Katastrophal war die Versorgung mit Pneus. Nachdem die Eidgenossenschaft in einem Gegengeschäft vom Kaiserreich «Argus»-Flugmotoren gegen Pneus erworben hatte, verhängten die Alliierten gegenüber der Schweiz ein 100% Kautschuk- Embargo. Entsprechend teuer wurde das Taxifahren. In verschiedenen Schritten, manchmal halbjährlich, wurden die Tarife von Fr. 1.20 für den ersten Kilometer auf Fr. 2.13 angehoben. 1920, als sich die Versorgungslage normalisiert hatte, verfügten alle drei Taxihalter über je 10 Konzessionen. Nach Kriegsende lag Deutschland wirtschaftlich am Boden, und nachdem nun das Elsass wieder französisch geworden war, bediente Settelen dieses Gebiet. Er versandte seinen Taxi-Kalender bis nach Mühlhausen. Ab 1923 harzte dieser Grenzverkehr wieder, als auf Druck der wieder erstarkten Mühlhausener Kollegen der französische Zoll die Basler Taxis zu schikanieren begann. Obwohl die Wirtschaft nach einer kurzen Rezession im Verlaufe der 1920er Jahre wieder in Fahrt kam, ging die Rechnung bei Soller offensichtlich nicht mehr auf. Er verkaufte am 12. Januar 1923 seinen Taxi-Betrieb für Fr. 20'000.- an Keller und Settelen, die die Konzessionen je hälftig auf sich übertragen liessen. Die übernommenen acht arg verschlissenen Fahrzeuge wurden umgehend weiter verkauft, vier weitere gingen wohl direkt auf den Abbruch. Zusätzliche neue Fahrzeuge beschaffte Settelen nicht. Personalübertritte wurden in den Settelen Personalverzeichnissen keine vermerkt, Soller musste wohl sein gesamtes Fahrpersonal auf die Strasse gestellt haben!

Die Basler Taxi-Hydra

Vermutlich wollten Keller und Settelen mit dem Kauf das Angebot ausdünnen - eine Fehlspekulation, wie die Zukunft zeigen sollte. Vielmehr hatten sich die zwei eine Hydra gezüchtet, denn bereits am 6. Februar 1923 erhielten die Soller-Chauffeure sechs Konzessionen zugesichert. Unter dem Namen H. Gass & Co, Auto-Taxi, hatten sie sich als Teilhaber zusammengeschlossen und waren spätestens im April 1923 operativ tätig. 1927 wurde Hans Gass aus eigenem Verschulden aus dem Betrieb gemobbt. Er gründete nach verschiedenen Anläufen die Taxi-Genossenschaft, die am 1. Januar 1929 den Betrieb mit 6 Konzessionen aufnahm. Gottfried Gerber-Jenny, ein anderer Gass-Teilhaber, gründete die Stern AG, Autotaxi. Er erhielt per 1. Januar 1930 zehn Standplatzkonzessionen. 1930 errichteten zwei weitere Gass-Teilhaber, Jakob Haffa und Karl Betsche die Parkgarage AG. Das Aktienkapital wurde von den Taxichauffeuren aufgebracht. Mit zehn neuen Ford- Fünfplätzern, die sie als Express-Taxi bezeichneten, operierten sie vorerst ohne Konzessionen vom Domziel am Riehenring 93 aus. Bei der H. Gass & Co. zeichnete ab 1929 der erst später dazugekommene Teilhaber Karl Scheidegger-Thommen als Geschäftsführer. Ab 1932 war er der einzige Teilhaber und damit de facto Inhaber der Firma, die aber erst ab 1939 in der Werbung unter dem Namen K. Scheidegger Touring Garage erschien. Als zusätzlicher Konkurrent mischte ab 1926 die Taxi AG, vormals Karrer, auf dem Basler Taximarkt mit. Das Überangebot an Taxis bei einem in der Folge der Weltwirtschaftskrise schrumpfenden Markt sollte zu einem Kampf auf Leben und Tod führen. Keiner der neuen Firmengründer sollte ihn wirtschaftlich überleben!

BASELS EINZIGE LASTWAGENFABRIK

Offensichtlich war Eugen Soller für Basels Industriegeschichte nicht ganz bedeutungslos. In der Absicht Omnibusse zu bauen, gründete er am 10. Juli 1905 die Firma Soller AG und entwickelte ein Lastwagenchassis samt eigenem, sehr eigenwilligem Antriebsstrang. Das  besondere daran war der «Patent Soller 4-Takt-Motor», ein so genannter «Gegenkolbenmotor». Er wies lediglich einen mächtigen, querliegenden, beidseitig offenen Zylinder auf. Die Kraft der zwei gegeneinander wirkenden Kolben wurde mittels je zwei Pleueln, Kipphebel und zwei weiteren Pleueln auf die darunter, in Fahrrichtung liegende Kurbelwelleübertragen. In der Zylindermitte war die Brennkammer aufgesetzt, in der die zwei Ventile und die Zündkerze lagen. Die Leistung wurde mit 16 bis 24 PS bei 480 bis 500 U/min., die Höchstgeschwindigkeit, je nach Beladung, mit 8 – 12 km/h beziffert. In der Fahrzeugmitte lag ein mächtiger Getriebekasten mit integrierter Kupplung und Differential. Der Antrieb der Hinterachse erfolgte, wie damals üblich, über Ketten. Gegen 1'000 Lastwagen mit einer Nutzlast von 3 bis 15 Tonnen soll Soller zwischen 1905 und 1923 ausgeliefert haben, wobei bereits 1917 die Serienproduktion von Lastwagen eingestellt worden war. Ab 1917 nannte sich die Firma «Gesellschaft für mechanische Industrie, vormals Soller AG» und befasste sich mit dem Bau verschiedenster, z. T. selbst entwickelter Maschinen. Daneben führte man einen Garagenbetrieb, der bereits 1931 liquidiert wurde.

Gegenkolbenmotoren in ansehnlichen Stückzahlen bauten u. a. die Dessauer «Junkers Flugzeugwerke», die sie auch in Flugzeuge eingebauten sowie Sulzer Winterthur. Dies waren allerdings ventillose Zweitakt-Dieselmotoren mit je einem zusätzlichen Spülkolben pro Zylinder.