Brunnbriefe sind eine Basler Besonderheit. Die Settelen AG besitzt zwei dieser Dokumente. Sie geben dem Eigner noch heute alljährlich das verbriefte Recht auf den kostenlosen Bezug einer bestimmten Menge Trinkwasser. Im Folgenden werfen wir einen Blick auf die spannende Entstehungsgeschichte der Brunnbriefe und klären, wie sie in den Besitz der Settelen AG kamen.
Etwa seit dem Hochmittelalter verfügte Basel über ein städtisches Wasserleitungs-System. Wer Wasser daraus beziehen wollte, musste bis in die Neuzeit sogenannte Brunnbriefe kaufen. Dann verschwand dieses exklusive Trinkwasserbezugsrecht für rund zwei Jahrhunderte und tauchte erst wieder 1866 auf. Die Brunnbriefe der Settelen AG stammen aus dieser Epoche. Sie gehörten ursprünglich Josef Häni-Hügin. Er war ein konzessionierter Droschkenhalter, der auf Fahrten zu den Bahnhöfen spezialisiert war. 1862 übernahm er das gescheiterte, älteste lokale Geschäft seiner Branche, die «Baslerische Droschkenanstalt» und wurde dadurch zu einem der grossen Pferdebetriebe der Stadt. Neben einer geeigneten Infrastruktur, geschultem Personal und genügend Futter benötigte sein Unternehmen vor allem eines: sehr viel Wasser. Allerdings: Bevölkerungswachstum, Industrialisierung und Übernutzung des mittelalterlichen Wasserversorgungssystems führten schon in den 1850er-Jahren zu zahlreichen Nutzungskonflikten um das Wasser der Stadt.
Zu Beginn der 1860er Jahre verschärften sich die Zustände. Die Basler Wasserversorgung wurde zu einem Politikum erster Güte. In Basel regierte damals noch der Kleine Rat. Konservative Familien sowie die Zünfte hatten das Sagen und dominierten die Basler Regierung. Diese erteilte 1863/64 der privaten «Gesellschaft für Wasserversorgung» eine Konzession (mit Rückkaufrecht) für die Wasserversorgung der Stadt Basel für dreissig Jahre. In der Folge fasste das Unternehmen im Januar 1865 Quellen in Grellingen (die sich noch heute im Besitz der IWB befinden) und begann mit dem Bau des Reservoirs auf dem Bruderholz, das vier Millionen Liter fasste und hoch genug lag, um mit natürlichem Druck das Wasser bis in alle Häuser Basels zu treiben. Am 12. April 1866 nahmen die privaten Wasserversorger ihren Betrieb auf. Zur Refinanzierung ihrer Investitionen verkauften sie Brunnbriefe an das betuchte Basler Bürgertum. Josef Häni-Hügin erwarb schon am 20. April 1866 zwei dieser Briefe (die Nummern 332 und 333) für jeweils einen halben Helbling (800m3) «nach der Stadt Basel geleitetes Quellwasser», um seinem Betrieb genügend Wasser zu sichern. Für den ganzen Helbling bezahlte er die damals beträchtliche Summe von CHF 5'000.–, obwohl er sich «die zeitweisen Unterbrechungen in der Zuführung des Wassers gefallen» lassen musste. Immerhin: Die beiden Brunnbriefe sind ein nur in gegenseitigem Einvernehmen kündbares Abonnement und berechtigen den Besitzer jedes Jahr umsonst 1’600m3 Trinkwasser zu beziehen.
1874 beendete Josef Häni-Hügin seine Arbeitstätigkeit in Basel. In der Folge wechselten bei Betriebsübernahmen auch die kostbaren Brunnbriefe den Besitzer. Zuerst übernahm sein Neffe Christian Buess-Hügin die Droschkenhalterei an der Davidsgasse 15. Zehn Jahre später kaufte Louis Herdener-Kleiber das Geschäft. Nach seinem Tod erwarb die Familie Settelen 1892 die Droschkenhalterei von dessen Witwe. Pferde und Droschken sind unterdessen schon lange verschwunden. Aber die beiden Brunnbriefe von 1866 existieren noch und haben weiterhin ihre Gültigkeit. Und wie erging es der «Gesellschaft für Wasserversorgung»?
Seit 1866 leitete der private Wasserversorger immer mehr Wasser nach Basel. Weil aber eine geordnete Entsorgung des Abwassers fehlte – erst in den 1890er Jahren besass Basel ein zusammenhängendes Kanalisationsnetz – erhöhte sich die Boden- und Grundwasserbelastung mit Fäkal- und Abwasserstoffen massiv. Immer wiederkehrende Cholera- und Typhusepidemien in der dicht besiedelten Altstadt waren die Folge. Zudem versorgte die Gesellschaft in erster Linie die wohlhabenden Quartiere reichlich mit Wasser, weil hier höhere Einkünfte zu erwarten waren als in Arbeiterquartieren. Die Zustände wurden unhaltbar. Am 27. Juli 1875 schliesslich, als letztes Geschäft vor Inkrafttreten der neuen Kantonsverfassung, beschloss der Kleine Rat die Übernahme der «Gesellschaft für Wasserversorgung» zum Preis von 3,1 Millionen Franken. Danach war das «Gas- & Wasserwerk Basel», dann das «Gas-, Wasser- & Elektrizitätswerk Basel» und heute die «Industriellen Werke Basel» für die Wasserversorgung der Stadt verantwortlich.
Der Wasserverbrauch der Settelen AG ist im Verlauf der Zeit stetig gesunken. Heute benötigt sie rund 2’000m3 pro Jahr. Die ARA-Gebühren muss sie auf das gesamte Wasser bezahlen. Aber die beiden Brunnbriefe sichern dem Unternehmen noch heute den kostenlosen Bezug von 1’600m3 Wasser pro Jahr zu.