Am frühen Morgen des 29. Mai 1895 erlebte das Gundeldingerquartier ein wohl einmaliges Schauspiel. Das erste Tramdepot Basels beim damaligen Hauptsitz von Settelen an der Solothurnerstrasse wurde geräumt. Um vier Uhr in der Früh machte sich ein grosser Teil des Wagenparks mit knapp 50 Pferden auf die zweitägige Reise nach Winterthur, wo das Rösslitram drei Tage später seinen Betrieb aufnahm. In Basel wurde es nicht mehr gebraucht, denn seit dem 6. Mai verkehrte ein schienengebundenes, elektrisches «Staatstram» durch die Stadt. Doch wie kam es zu dieser technologischen und organisatorischen Umwälzung?
Die erste Schweizer Stadt mit einem Rösslitram war Genf. Private Investoren hatten sich um eine Konzession bemüht. Die rund drei Kilometer lange Strecke vom Place Neuve nach Carouge wurde am 19. Juni 1862 eröffnet - und die «Société des Tramways de Genève à Carouge» startete erfolgreich: Im ersten Betriebsmonat nutzten weit mehr als 100 000 Passagiere das moderne, schienengebundene Verkehrsmittel.
Es dauerte nicht lange bis auch in anderen Schweizer Städten der Ruf nach einem Rösslitram laut wurde. In Basel wurde die Regierung ab 1874 förmlich mit Konzessionsgesuchen für schienengebundene Trambahnen eingedeckt. Flügelkämpfe zwischen den Radikalen und den Liberalen brachten allerdings sämtliche Projekte zu Fall. Der erfolgreiche Schmied und Wagenbauer Henri Imhoff nutzte die Unentschlossenheit, stellte im Sommer 1880 einen Pferdetramomnibus vor das Basler Rathaus und beantragte für sein nicht schienengebundenes Rösslitram eine Konzession. Im Dezember 1880 erhielt er für eine Jahresgebühr von 40 Franken pro Tramomnibus die gewünschte Bewilligung für die Strecke zwischen den Bahnhöfen der Schweizerischen Centralbahn und der Grossherzoglichen Badischen Eisenbahn. Unverzüglich machte er sich daran, an der Solothurnerstrasse Basels erstes Tramdepot einzurichten.
Am 11. Juli 1881 um 7.20 Uhr morgens war es dann auch in Basel soweit: Im 10-Minutentakt begann der regelmässige Tramverkehr durch das Stadtzentrum. Die Bevölkerung stürmte förmlich das neue Verkehrsmittel, dessen Fahrzeit von Bahnhof zu Bahnhof 22 Minuten betrug. Das Ein- und Aussteigen der Fahrgäste erfolgte bei voller Fahrt, nur ausnahmsweise, d.h. für «Frauenzimmer, Kinder oder sonst wie Behinderte», wurde angehalten. Der Fahrpreis betrug für die ganze 2,7 km lange Strecke 30 Rappen, für Teilstrecken bis zu 900 m 10 Rappen.
Nach der Hochkonjunktur infolge des Deutsch-Französischen Krieges brach 1882 eine Wirtschaftskrise aus, welche die Liegenschaftspreise massiv sinken liess. Gegen Henri Imhoff, der einen grossen Teil seines Vermögens in Immobilien angelegt hatte, wurde am 2. Februar 1883 der Konkurs eröffnet. 23 Liegenschaften und unbebaute Grundstücke kamen unter den Hammer. Auch über den Tramomnibus-Betrieb wurde der Konkurs verhängt.
Julius Settelen, der künftige Schwiegersohn von Henri Imhoff, ersteigerte am 15. Februar 1883 den Rösslitrambetrieb mit dem Depot an der Solothurnerstrasse sowie 14 Tramomnibussen, 57 schweren Pferden und einem reichhaltigen Betriebsinventar. Aber auch Settelen wurde mit dem Rösslitram nicht wirklich glücklich und war froh, wenn der Betrieb pro Jahr eine schwarze Null erwirtschaftete. Denn obwohl die Stadt Basel wuchs, sank die Zahl der Trampassagiere von 802 613 (1882) auf 661 007 (1887). Ab 1888 stiegen die Zahlen wieder kontinuierlich an. 1891 führte Settelen den 6-Minuten-Takt ein, der rund 100 Jahre Bestand haben sollte. Im letzten vollen Betriebsjahr (1894) wurden 946 191 Fahrgäste befördert. Von der Eröffnung der Linie am 11. Juli 1881 bis zur Ablösung durch die Basler Strassenbahnen am 6. Mai 1895 benutzten über 10.5 Millionen Passagiere das Rösslitram.
Schon vor 1890 war klar: Mittelfristig wird das Rösslitram verschwinden. Lange war jedoch unklar, wodurch es ersetzt wird. Kommt eine elektrische Strassenbahn mit Akkumulatoren, die mehrmals täglich ausgewechselt werden müssen oder eine mit einer unästhetischen Oberleitung? Braucht es zuerst tiefgreifende Eingriffe ins Stadtbild, um ein Schienennetz rationell anlegen zu können? Soll das künftige Tram privat oder staatlich betrieben werden?
Solche Fragen beschäftigten jahrelang Politiker und Ingenieure und sorgten im Grossen Rat für rote Köpfe. An der Grossratssitzung vom 31. März 1892 fiel schliesslich ein wegweisender Entscheid: Mit grossem Mehr entschied sich der Rat dafür, die elektrische Strassenbahn als kommunales Unternehmen zu führen. Mit diesem Beschluss wurde Basel zur ersten Schweizer Stadt mit einem Staatstram. Ab 1893 liess die Stadt anlässlich des Einbaus einer neuen Holzpflästerung in der Eisengasse und in der Aeschenvorstadt Tramschienen verlegen. Damit betonierte sie für alle Zeiten Basels einmalig enge Kurvenradien. 1894 schliesslich entschied der Grosse Rat, welche Trams die Linie zwischen den beiden Bahnhöfen befahren sollen. Die Wahl fiel auf die wenig erprobten elektrischen Oberleitungstrams von Siemens-Halske. Im gleichen Jahr begann der Bau der kohlebetriebenen «Kraftstation» am Claragraben. In Basel gab es bis anhin noch keinen Strom, er musste eigens für den Trambetrieb hergestellt werden.
Zwei Tage nach der kleinen Eröffnungsfeier mit vierzig geladenen Gästen begann für die «Basler Strassenbahnen» (BStB) am 6. Mai 1895 um 6.30 Uhr der fahrplanmässige Betrieb. Das elektrisch angetriebene Tram befuhr im gleichen Takt die gleiche Strecke wie zuvor das Rösslitram.
Die BStB übernahmen einen grossen Teil des Personals von Settelen. Sie stellten alle Billeteure und den einzigen Kontrolleur des Rösslitrambetriebes an. Aber zu Wagenführern wurde nur ein Teil der Kutscher umgeschult - denn deren Fertigkeiten waren beim elektrischen Tram kaum gefragt. Das Fahrpersonal verdiente mit anfänglich rund 100 Franken pro Monat etwa gleich viel wie beim Rösslitram. Aber die wöchentliche Arbeitszeit war mit rund 67 Stunden wesentlich kürzer.
Trotz eines verbreiteten Unbehagens gegenüber den stromführenden Oberleitungen war dem elektrischen Tram von Anfang an grosser Erfolg beschieden. Es transportierte im ersten Betriebsjahr rund drei Mal mehr Passagiere als das Rösslitram. Allerdings war die neue Technologie zu Beginn noch pannenanfällig und der Umgang mit Störungen wohl verbesserungswürdig. So meldeten die "Basler Nachrichten" am 2. Juli 1895: "Betriebsstörung der Strassenbahn. Samstag den 29. Juni, nachmittags, trat eine zweistündige Betriebsunterbrechung ein. In der Aeschenvorstadt beim Sternengässlein verwickelte sich eine durch den Regen nass gewordene Fahne mit der Arbeitsleitung und brachte so einen direkten Kurzschluss hervor. Dem Umstand, dass man den Fehler zuerst anderswo gesucht hatte, und alle Wagen, Centrale und Linie zuerst untersuchte, ist es zuzuschreiben, dass die Störung so lange andauerte."
Mit dem Rösslitram wäre dies nicht passiert!