Traktoren in der Stadt – die verschwundenen Kraftprotze

Frühling 2022

 

In den historischen Beiträgen des «Persönlich» führten die Traktoren bisher eher ein Mauerblümchendasein. Dabei verrichteten insgesamt 26 Stück während über 75 Jahren ihren Dienst für Settelen. Vor genau 20 Jahren wurde der letzte ausgemustert.

 

Die ersten Traktoren oder Schlepper (abgeleitet vom Lateinischen «trahere», ziehen oder schleppen) waren schwere Dampftraktoren, die – als Ersatz für Pferde oder Ochsen – ab den 1870er Jahren mithalfen, die harten Böden der amerikanischen Prärie zu bewirtschaften. Für kleine Farmer waren die in sehr kleinen Stückzahlen hergestellten Ungetüme zu gross und zu teuer. Ab den 1890er Jahren kamen vereinzelt Schlepper mit Verbrennungsmotoren auf den Markt. Aber erst der ab 1917 in rationeller Massenfertigung hergestellte, günstige Fordson Model F sorgte schliesslich dafür, dass Traktoren im angelsächsischen Raum die Landwirtschaft revolutionierten. 1920 waren bereits 100‘000 Stück dieses Modells im Einsatz! Kurz darauf begannen zahlreiche Kleinunternehmen in Kontinentaleuropa Traktoren herzustellen. Allein in der Schweiz entstanden rund 20 Betriebe – die meisten verschwanden wieder oder wurden mit grösseren Unternehmen fusioniert. Die bekanntesten Marken sind wohl Bührer (1929–1978), Hürlimann («der Rolls Royce unter den Traktoren», 1929–1983) oder Vevey (1936–1963). Alle diese Marken fanden sich auch an der Türkheimerstrasse.

Baustellen und Stadtumzüge

Den ersten Traktor – ein Fordson Model F mit Vollgummibereifung – kaufte Settelen bereits im Januar 1925 für Fr. 5‘200.-- bei Eugen Soller, dem einzigen Basler Lastwagenfabrikanten. Der erste von insgesamt zehn Settelen-Fordsons war 19 Jahre im Einsatz, bis er 1944 für beachtliche Fr. 4‘200.– nach Ziefen (BL) weiter verkauft werden konnte. Aber wofür benötigte Settelen eigentlich Traktoren, die sonst vorwiegend im landwirtschaftlichen Bereich zu finden sind? Auch in der Stadt machten sie den Pferden Konkurrenz, die zwar günstiger aber langsamer waren. Allerdings: Bei der Strassenreinigung und dem Strassenunterhalt, mit denen das Baudepartement Settelen von 1925 bis in die Mitte der 1950er Jahre beauftragte, lassen sich bis zum Schluss keine Belege finden, dass Traktoren zum Einsatz kamen. Diese Aufgaben verrichteten ausschliesslich Pferde. Anders sah es beim Hoch- und Tiefbau aus. Sehr oft transportierten Settelen-Traktoren ab der Zwischenkriegszeit mit Schnappkarren und anderen Anhängern beispielsweise Bau- oder Gerüstholz zu und Bauschutt weg von Baustellen. Ausserdem waren sie bei Stadtumzügen vielfach gefragt und zogen Umzugsgut in den bis zu neun Meter langen, eisenbereiften Möbelwagen. An Einsatzbereichen mangelte es nicht. Deshalb wuchs der Traktorbestand bei Settelen bis Ende der 1930er Jahre auf acht Stück. Dieser Aufschwung wurde auch durch den Zweiten Weltkrieg nicht gestoppt – die Schlepper erhielten einfach einen anderen – landwirtschaftlichen – Einsatzbereich.

Anbauschlacht

Anlass war die «Anbauschlacht», mit der die Eidgenossenschaft unzählige Anbauwerke förderte. Die Anbaufläche der Schweiz wurde fast verdoppelt – von 183 000 Hektaren zu Beginn des Krieges auf 352 000 Hektaren bis 1945 – und musste bewirtschaftet werden. Die Traktoren von Settelen bestellten bis zum Ende des Krieges Felder bei Movelier, Soyhières, Tavannes (JU), Sennberg (BE), Buschberg bei Wittnau (AG) oder Romoos (LU).

Daneben benötigte die Armee die Settelen-Traktoren für diverse andere kriegsbedingte Arbeiten: Sie waren in den Réduits von Unterbach, St. Stephan (BE) und Reckingen (VS) im Einsatz, transportierten Baumaterial für Befestigungsarbeiten auf die Furka-Passhöhe, beteiligten sich an der Rodung des Waldes Löhr bei Bern, unterstützten den Strassenbau bei Magden (AG) oder halfen auf dem Flugplatz Unterbach (BE).

Auch an den landwirtschaftlichen Arbeiten im Rahmen der «Schweizer Spende», die der Bundesrat Ende 1944 anregte, war Settelen beteiligt. Von April bis Juni 1945 – also noch während des Krieges –waren Settelen-Chauffeure mit vier Traktoren in Bischwihr (F) tätig, um die Äcker zu pflügen.

Spezialtransporte

Nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1960er Jahre waren Traktoren ein fester Bestandteil des Basler Stadtbildes. Settelen besass in dieser Zeit immer rund zehn Traktoren, die voll ausgelastet waren. Jährlich leistete jeder durchschnittlich etwa 2000 Einsatzstunden! Sie kamen nicht nur bei unzähligen Baustellen und bei Stadtumzügen zum Einsatz, sie waren oft auch bei Spezialtransporten gefragt. Dank seiner Traktoren konnte Settelen während Jahrzehnten auch ausgefallene Transferwünsche erfüllen. So transportierte das Unternehmen zum Beispiel immer wieder neue Anhänger für die Basler Strassenbahnen und die BVB vom Bahnhof in eines der Tram-Depots. In den Auftragsbüchern finden sich darüber hinaus Transporte von Kirchenglocken (etwa 1936 beim Bau der Johanneskirche beim Kannenfeldplatz und 1949 beim Bau der Kirche Peter und Paul in Allschwil) oder von Brückenelementen (beim Bau der St. Alban-Brücke 1953/54).

 

Am häufigsten schleppten Settelen-Traktoren riesige Tanks durch die Basler Strassen. Bei der spektakulärsten Fuhre dieser Art im Sommer 1952 war der Hürlimann-Traktor jedoch nicht wegen seiner Zugkraft sondern als Ballast gefragt. Settelen spedierte zwei Öltanks mit einem Fassungsvermögen von jeweils 150 000 Litern von Basel nach Le Locle. Ohne Gegengewicht wäre der Transport der beiden Giganten (25 Meter Länge, knapp drei Meter Durchmesser, Leergewicht rund 15 Tonnen) nicht möglich gewesen.

Im Verlauf der 1970er Jahre sank in der Stadt die Nachfrage nach Traktoren merklich. Andere Techniken und Spezialfahrzeuge (z. B. Mulden, Wechselladekipper) verdrängten sie zusehends vom Markt. Ab 1984 hatte Settelen für Spezialaufträge nur noch einen Traktor im Einsatz. Im Herbst 2002 schliesslich wurde dieser Bührer-Traktor mit einem Kilometerstand von über 350 000 Kilometern nach Winterthur verkauft. Damit waren die Traktoren bei Settelen Geschichte.