Vom Webstuhl zum Prius Teil I

Die Pionierzeit

1867 beginnt für Japan eine neue Zeitrechnung: Mutsuhito besteigt mit 15 Jahren als Meiji-tennō (Kaiser Meiji) den Thron. Er reformiert die Steuern und die Verwaltung, führt die allgemeine Schulpflicht ein, beginnt mit dem Eisenbahnbau und formt aus dem rückständigen Feudalstaat eine moderne imperiale Grossmacht. Im gleichen Jahr wird Sakichi Toyoda geboren, der später als «König der japanischen Erfinder» und «Vater der industriellen Revolution in Japan» bezeichnet wird. Seine Familie lebt in einer abgelegenen ländlichen Gegend südlich der heutigen Millionenstadt Nagoya. Fast alle Menschen arbeiten im Baumwollanbau. Die meisten Familien besitzen einen Webstuhl, mit dem das Einkommen aufgebessert wird.

Von seinem Vater Ikichi erlernt Sakichi Toyoda das Handwerk des Zimmermanns und nutzt seine Ausbildung, um hölzerne Spinnmaschinen zu entwickeln. 1890 beginnt er manuelle Webstühle zu bauen, die bald billiger und besser sind als die bisherigen Maschinen. Betroffen von den harten Bedingungen, unter denen seine Verwandten und ihre Freunde in den Spinnereien und Webereien arbeiten müssen, kauft er sich eine gebrauchte Dampfmaschine. Mit dieser experimentiert er, um einen dampfbetriebenen Webstuhl zu entwickeln.

Zusammen mit seinem Sohn Kiichirō (*1894), der in Tokio Maschinenbau studiert hat, vollendet Sakichi Toyoda 1924 seine revolutionäre «automatische Webmaschine» (Toyoda Automatic Loom). Sie besitzt einen Mechanismus, der die Maschine automatisch stoppt, wenn ein Faden reisst. Dank dieser Innovation können wenige Personen eine grosse Anzahl Webmaschinen bedienen. Für Produktion und Vermarktung gründet Sakichi die «Toyoda Automatic Loom Inc». 1929 schickt er Kiichirō nach Grossbritannien, um die Patentrechte seiner automatisierten Webmaschine an die britische Firma Platt Brothers zu verkaufen. Mit dem Erlös - 100.000 britische Pfund - soll Kiichirō die Vision seines Vaters verwirklichen und ein japanisches Auto bauen.

Erdbeben verwüstet Japan

Das Strassennetz ausserhalb Tokios ist zwar noch kaum der Rede wert. Trotzdem beleben schon rund 80 000 Autos v. a. aus amerikanischer Produktion die japanischen Grossstädte. Denn nachdem 1923 ein verheerendes Erdbeben Japan verwüstet, bei dem knapp zwei Millionen Menschen ihr Heim verlieren, sind Ford und General Motors für den Wiederaufbau zur Stelle: Sie liefern Busse sowie Fahrgestelle für Nutzfahrzeuge und errichten Montagewerke in Osaka und Yokohama. Jährlich verlassen das Ford-Werk rund 10 000, das GM-Werk rund 8000 Autos. Die japanischen Autobauer jener Zeit heissen «Tokyo Gas & Electric», «Ishikawajima Automobile» und «Dat Motor Co.». Zusammen produzieren sie 1929 lediglich gut 400 Autos!

Als Sakichi Toyoda 1930 stirbt, übernimmt sein Schwiegersohn Risaburo die Leitung der Maschinenfabrik - und Kiichirō hat freie Hand für «sein» japanisches Auto. Er importiert deutsche und amerikanische Werkzeugmaschinen und beginnt in einem Winkel des Firmengeländes mit der Entwicklung eines Motors. Nach rund fünfjähriger Arbeit ist ein erster Meilenstein erreicht: Im Mai 1935 sind die drei rechts gelenkten Prototypen des Toyota A1 fertig produziert. Der Personenwagen ist mit einem Sechszylindermotor und einem Dreiganggetriebe mit Lenkradschaltung ausgestattet. Vorbild für das Fahrwerk ist ein GM-Truck. Die Karosserie orientiert sich am Chrysler Airflow, der 1934 auf den Markt gekommen ist.

Fehlstart ins Autozeitalter

Toyodas Aufbruch ins Autozeitalter ist nicht wirklich von Erfolg gekrönt. Die erste Ausfahrt endet nach knapp 20 Kilometern. Ein Pferd muss den Wagen ins Werk zurück schleppen. Trotz dieses Fehlstarts lässt Kiichirō die Prototypen in einer buddhistischen Zeremonie weihen und fährt dann einen von ihnen zum Grabe seines Vaters, der ihm das erste Geld zur Produktion eines Autos gegeben hat. 

Damit ist die Geschichte des ersten Modells bereits beendet, denn Kiichirō konzentriert sich in der Folge auf die Entwicklung eines Trucks, der einfacher zu produzieren ist. Der erste Prototyp des G1 ist bereits im November 1935 fertig. Das Design ist noch nicht ganz ausgereift, die Pannenhäufigkeit - aufgrund von minderwertigem Stahl - gross. Bis im September 1936 produziert Toyoda lediglich 379 G1-Trucks. Dann geht das weiterentwickelte Modell GA in Produktion. Gleichzeitig wird der PW AA, eine optisch fast identische aber technisch verbesserte Version des A1, lanciert. Bis 1943 entstehen über 1 400 AA-Limousinen.

Damit ist der AA für japanische Autobauer ein erster Verkaufsschlager. Während Jahrzehnten ist keine AA-Limousine mehr auffindbar. Dann taucht 2010 doch noch ein Exemplar in Wladiwostok auf.
Am 28. August 1937 wird die Automobilsparte aus der Webstuhlfabrik ausgegliedert. Die «Toyota Motor Corporation» wird zu einem eigenständigen Unternehmen. Anstelle des Familiennamens Toyoda wird Toyota gewählt. Damit wird dem Gründer die Trennung von Arbeitsleben und Privatleben ermöglicht und die Aussprache vereinfacht.
Damals spricht noch nichts dafür, dass Toyota 70 Jahre später der grösste Automobilkonzern der Welt sein wird.