Von Pferde- und anderen Staerken

Frühling 2007

Das Thema Pferd wurde im «Settelen Persönlich» verschiedentlich angeschnitten, denn Settelen ist dank dem Pferd gross geworden. «Jee wie härzig!» rufen viele Menschen spontan aus, wenn sie unverhofft einem Pferdegespann begegnen. Offensichtlich verbinden sie dieses Bild mit der «guten alten Zeit». Der Wesensart und Bedienung des Pferdes sowie dessen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Bedeutung ist nachstehender Artikel gewidmet.

DIE BEDEUTUNG DES HUNDES ALS ZUGTIER ZEIGT DAS KRIEGSDENKMAL VON LEYDEN: IM GRABENKRIEG DES ERSTEN WELTKRIEGES VERSORGTEN VOR ALLEM HUNDE DIE BELGISCHEN SOLDATEN MIT NAHRUNG UND MUNITION.

 

Das Zugtier - Grundstein unseres Wohlstandes

Unseren heutigen Wohlstand verdanken wir in erster Linie der Mobilität von Menschen und Gütern. Die wirtschaftliche Mobilität des Menschen begann mit der Domestizierung von Wildtieren, die durch Zucht zu hoch spezialisierten Trag- und Zugtieren umgeformt wurden. Bis zum Siegeszug von Eisenbahn und Automobil waren sie es, die die ständig steigenden Transportansprüche der Menschen erfüllten. In grossem Stil setzte man in unserem Kulturkreis nebst Pferden auch Hunde, Ochsen, Esel sowie Maultiere und Maulesel (die unfruchtbaren Mischlinge von Pferd und Esel) ein.

Sie alle lassen trotz intensiven Zuchtbemühungen ihre ursprüngliche Wesensart immer wieder durchbrechen - dies meist im unpassendsten Moment. Hier eine kurze Aufzählung der dominanten Wesensarten: 

  • Der Hund kann seine Abstammung vom Wolf nicht leugnen. Als typischer Jäger kann er zur Erlangung der Beute riesige Distanzen zurücklegen. Innerhalb von Minuten vermag er gewaltige Mengen Fleisch zu verzehren, die ihn für Tage ernähren. Ein heutiger Schlittenhund läuft mit schwerer Last 100 bis 150 km pro Tag in Folge. Fühlt er sich bedrängt, so greift er an.
  • Der Ochse (ein kastrierter Bulle), stammt vom Wildrind ab. Sein Gang ist langsam, er verfügt aber über erstaunliche Kräfte. Fühlt sich die Herde bedroht, schliesst sie sich zusammen und der Bulle greift den Störenfried an. Ein Rindvieh frisst in relativ kurzer Zeit erstaunliche Mengen von wenig energiereichem Grünfutter, das es dann in den Ruhepausen wieder hochwürgt und nochmals kaut. Daher der Name «Wiederkäuer».
  • Der Esel ist ursprünglich ein Tier des Gebirges. Fühlt er sich bedroht oder verunsichert, bleibt er stehen, denn wilde Flucht würde seinen sicheren Tod bedeuten. Er ist ein Meister im Beissen und Verteilen von gezielten Huftritten. Mit diesen Fähigkeiten verdiente er sich das Prädikat «störrisch». Er trägt bis zu 100 kg, geht auf einer Spur wie ein Fahrrad und ist ungeheuer trittsicher und schwindelfrei.

Das Traktionsmittel Pferd

Die Heimat unseres Pferdes liegt in den weiten Steppen Innerasiens. Auf die geringste Störung reagiert es mit wilder Flucht, denn an Raum fehlt es dort nicht. Es erreicht dabei Geschwindigkeiten bis zu 40 km/h! Gute Zugkraft und Tragfähigkeit, rascher Schritt, Trab oder gar Galopp haben es zum universellen Traktionsmittel des Menschen gemacht. 

Das Pferd und seine Verwandten geben sich mit kalorienarmem Raufutter zufrieden - saftiger Klee kann bei ihnen zu tödlichen Blähungen führen. Da sie keine Wiederkäuer sind, müssen sie ihre stark faserhaltige Nahrung direkt mit den Zähnen zerkleinern, was seine Zeit dauert. Wegen des geringen Nährwertes dieses Futters müssen sie bei strenger Arbeit im Tag bis zu fünfmal gefüttert werden! 

Fohlen kommen nach einer Tragzeit von rund elf Monaten zur Welt und werden mindestens sechs Monate von ihrer Mutter-Stute gesäugt. Hengstfohlen, die nicht zur Zucht bestimmt sind, werden kastriert und als Wallach bezeichnet. Im Alter von 24 bis 36 Monaten wird das Jungtier eingefahren oder/und zugeritten. Mit ca. dreieinhalb Jahren fängt sein Berufsleben an, aber erst mit fünf Jahren erreicht das Pferd seine volle Leistung. Falls sein Besitzer an einer möglichst langen Nutzungsdauer interessiert ist, muss er ihm eine dem Alter entsprechende Arbeit zuteilen, was bei der Reisepost oder beim Pferdetram ausgeschlossen war. Dort wurden sie nur während einer kurzen Lebensphase beschäftigt. So oder so, mit spätestens 20 Jahren endet das Berufsleben des Pferdes - früher garantiert beim Pferdemetzger.

Die «Pferdegarage» war nie eine «Laternengarage»

Zur Unterbringung eines Pferdes braucht es einen Stall mit meist zweiteiliger Futterkrippe, Plampern, Anbindevorrichtung und dgl. sowie eine umfangreiche Infrastruktur:

Wagenremise, Geschirrkammer, Futterschneidmaschine, Miststock, Brunnentrog, Waschplatz, Heustock, Lager für Stroh- oder Torfstreue, ein mäusesicheres Lager für Hafer oder Kraftfutter sowie diverse Kleingeräte und eine Apotheke, die der Pferdepflege dient. Dies bedeutet für wenige Pferde ein enormen Aufwand. Darum stellten Pferdebesitzer in städtischen Agglomerationen ihre Reit- und/oder Zugtiere oft in Stallungen von Transportunternehmungen unter, oder mieteten dort Pferde für ihren wiederkehrenden Bedarf.

Das heutige Settelen Areal entspricht räumlich immer noch dem Pferdebetrieb von 1907. Das Projekt beinhaltete nicht nur die komfortable Unterbringung von 160 bis 170 Pferden, sondern auch moderne Werkstätten für Wagner, Schmiede, Sattler und Schneider, gedeckte Abstellflächen für den gesamten Wagenpark sowie Lager für einen Jahresvorrat von Futter und Streue. Vergleicht man die Transportkapazität der damaligen Fuhrhalterei mit heutigen Motorfahrzeugen, so würde etwa ein Zehntel der Fläche und ein Zwanzigstel des Gebäudevolumens zur Unterbringung des Betriebes genügen.

Das Pferd und sein Geschirr

Bei den Recherchen zu diesem Bericht tauchen erstaunlicherweise zu keinem Zeitpunkt Animositäten zwischen den Brüdern und der Schwester dieser Settelen-Generation auf. Zu allen möglichen Anlässen lädt man sich ein, ist Mitglied in denselben Vereinen und - wenn es ums Geschäft geht, gewährt man sich gegenseitig Darlehen oder unterschreibt Bürgschaften. Julius hätte wohl kaum ohne die Unterstützung und den Einfluss seiner Brüder Emil und Victor das «Rösslitram» heil über die Runden gebracht. 

Ob die überlieferten Gründe die einzigen sind, die zur geschäftlichen Trennung von Victor und später von Ernst führen, kann heute bezweifelt werden. Ist es nicht eher so, dass die beiden durch das ungebremste Streben von Julius nach raschem Fortschritt und risikoreichen Investitionen möglicherweise überfordert waren?

Die in der Schweiz am meisten verbreitete Pferdrasse war der von der Armee geförderte, häufig auch als «Eidgenoss» bezeichnete, «Freiberger». Diesem gutmütigen, leichten Kaltblutpferd mutete man eine Traglast von 150 kg und ein Zuggewicht von etwas mehr als einer Tonne im «Dauerbetrieb» zu.

Da ein Pferd mit einer Traglast langsamer geht als mit einer Zuglast, wurden Güter wenn immer möglich auf Wagen verladen. Um ein Pferd vor einen Wagen zu spannen, braucht es ein Geschirr. Dabei unterscheidet man grundsätzlich zwischen Kummetgeschirr und dem meist für leichtere Arbeit bestimmten, dafür eleganteren Brustblatt- oder Silengeschirr.

Die weit verbreitete Meinung, die Haut des Pferdes sei besonders robust, ist irrig. Um Druckstellen, die schnell zu eitrigen Geschwüren führen, zu vermeiden, müssen Kummet und Kammdeckel, beim Einspänner auch Sellette genannt, von einem hoch qualifizierten Sattler individuell angefertigt und angepasst werden. Die Standardteile des Zuggeschirres bestehen aus gut zehn verstellbaren Riementeilen, die aus verschiedenen Lederstücken zusammengenäht und mit Schnallen versehen sind. Das Gleiche gilt für das Zaumzeug (Kopfgeschirr), das dem Lenken des Pferdes dient.

Die in diesem Teil integrierte Kandare gibt es in einem guten Dutzend verschiedener Ausführungen. Sie muss der Anatomie und dem Charakter des Pferdes entsprechen. Dazu kommen noch Kettenstücke, Ringe und Karabinerhaken. Das alles ist beim Einschirren vom Kutscher auf das richtige Mass einzustellen, was viel Sachverstand verlangt, denn ein nicht sauber eingestelltes Geschirr vermindert die Arbeitsleistung des Pferdes und kann zu Unfällen führen. Verschiebt sich z. B. eine Scheuklappe so, dass die Wimpernhaare daran anstossen, kann dies zu einem reflexartigen «Durchbrennen» des Pferdes führen. Da für den einspännigen und den mehrspännigen Zug unterschiedliche Geschirre nötig und für den schweren Wagenzug andere Anspannungen gefragt sind als bei Luxusfuhrwerken, gab es bei Settelen für jedes einzelne Pferd praktisch zwei komplette, fix eingestellte Geschirre. Dies reduzierte die «Einschirrzeit» auf fünf bis zehn Minuten. Die Bedeutung eines guten und schönen Geschirrs war früher etwa von demselben Prestigewert wie heute die der Alu-Felgen an einem Automobil.