Von der Droschke zum Taxi Teil II

Herbst 2008

Settelen-Droschken und später die braunen Settelen-Taxi prägten über fünfzig Jahre das Basler Strassenbild. Eine kleine Serie von historischen Beiträgen im «Persönlich» zeigt erstmals die Entwicklung des Droschken- und Taxigewerbes unserer Stadt im Zeitraffer auf. Der erste Teil thematisierte die Ursprünge der Droschke als öffentliches Verkehrsmittel und ihre Einführung mit der «Basler Droschkenanstalt» im Jahre 1854. Anstoss dazu gab der Anschluss an die Badische Bahn und die Zentralbahnen sowie der dadurch ausgelöste Industrialisierungs- und Bevölkerungsschub.

Das Basler Konzessionswesen

In Basel konnten sich ab 1854 Unternehmer, die über mindestens vier einwandfreie Gespanne verfügten, um eine Droschkenkonzession bewerben. Die Konzession erlaubte dem Unternehmer, seine Dienste auf einem ihm fest zugewiesenen öffentlichen Standplatz anzubieten. Diese musste er jährlich im Dezember neu beantragen. Die Polizeidirektion kassierte pro Droschke und Jahr eine Konzessionsgebühr von 20 Franken. Zusätzlich war an das Baudepartement monatlich ein Franken als Reinigungsgebühr abzuführen. Diese Gebühren machten anfänglich rund ein Prozent der Einnahmen aus.

Der Konzessionär musste seine Droschken im Sommer (1. Mai bis 30. September) von 7 bis 21 Uhr und in den übrigen Monaten von 8 bis 20 Uhr auf den vorgeschriebenen Standplätzen aufstellen. Zudem konnte die Polizei den Droschkiers vor den Bahnhöfen bei Bedarf eine längere Präsenzzeit befehlen. Jede Droschke erhielt eine Nummer, die beidseitig am Kutschbock und am Fahrzeugheck anzubringen war. Zudem musste sie auf die Seitengläser der beiden Lampen aufgemalt werden. In der Droschke musste der Tarif gut leserlich angeschlagen werden. Kutscher waren mit einer «Livree» auszustatten. Sie unterschieden sich in Schnitt, Farbe und Garnituren von Firma zu Firma und bedurften der polizeilichen Genehmigung. Zudem musste die Farbe des Hutbandes mit der des Stirnbandes des Kopfgeschirrs des Pferdes korrespondieren.

Um sich von anderen Droschkenhaltern abzugrenzen, beantragten überdies verschiedene Unternehmer eine geschützte, farbliche «Auszeichnung» ihrer Fahrzeuge. Nachdem Settelen im März 1893 «blaue Wagenkasten und gelbe Speichen» bewilligt worden waren, folgte Keller im November des gleichen Jahres mit Wagenkasten und Speichen in hellblau.

Die Fuhrhalter waren zum einwandfreien Unterhalt der Gespanne verpflichtet. Jährlich inspizierte der Kantonstierarzt zusammen mit einem Polizeioffizier Pferde und Wagen inklusive der in Reserve zu haltenden «Umspannpferde».

Wer waren die Droschkenhalter?

Die Polizeidirektion erstellte jährlich eine Übersicht der Droschkenhalter mit Name, Adresse und Anzahl der Konzessionen. Bis etwa 1900 teilten sich knapp ein Dutzend meist kleine Unternehmer eine relativ konstante Zahl von 85 bis 100 Konzessionen.

Frappant ist die grosse Fluktuation bei den Kleinbetrieben. So wechselte zum Beispiel ein Betrieb an der Weidengasse 19 zwischen 1882 und 1891 sechs Mal die Hand! Auffallend sind zudem häufige Domizilwechsel, Witwen als Eigentümerinnen und viele Konkurse.

Alles deutet darauf hin, dass diese Sparte nicht besonders lukrativ war. Fuhrleute oder Droschkenkutscher, die mit knappen Eigenmitteln den Weg in die Selbstständigkeit wagten, dürften die Gründer solcher Firmen gewesen sein. Da sie über mindestens vier Gespanne mit je einem Reservepferd verfügen mussten, war die Schwelle hoch: Die Anfangsinvestition betrug mindestens 15 000 Franken, was deutlich mehr als zehn Jahreslöhnen eines Industriearbeiters entsprach.

Das langsame Sterben der Kleinmeister

Die Kleinmeister hatten ein entscheidendes Handicap. Sie konnten nicht so günstig arbeiten wie die wenigen grossen, bereits etablierten Kollegen. Letztere verfügten über eine ausgefeilte Infrastruktur mit Werkstätten und Reservematerial und beschafften die Futtervorräte dann, wenn sie am günstigsten waren, was Einsparungen bis zu 20 Prozent ermöglichte.
Die stärksten Konkurrenten waren Mehrspartenbetriebe. Sie waren zum Beispiel in der Lage, die geforderten Reservepferde aus dem Gesamtbestand zu entnehmen und «vorzutraben». Der daraus entstehende Kostenvorteil war beträchtlich, denn ein unbeschäftigtes Pferd verursachte tägliche Futter- und Pflegekosten von rund 2.50 Franken, was in etwa dem Taglohn eines Stallknechtes entsprach.

Kurz vor dem Ersten Weltkrieg verschwand der letzte «kleine» Droschkenhalter - nicht zuletzt wegen der Konkurrenz durch die «Automobildroschke», die im August 1908 durch die «Basler Droschkenanstalt Settelen» und die «Allgemeine Droschkenanstalt Gebr. Keller» eingeführt wurde. 1914 hielten diese beiden grossen Droschkenanstalten die verbliebenen 63 «Gespanndroschken»-Konzessionen. Diese Vormachtstellung verdankten sie nicht nur der schieren Grösse. Es war vielmehr ihre Strategie, die Mehrheit ihrer Standplätze in der Stadt und nicht bei den Bahnhöfen - wie ihre Konkurrenten - zu konzentrierten. Damit gelang es ihnen, einen festen Kundenstamm, v. a. auch für die rentableren Luxusfuhrwerke, aufzubauen.

Die Anfänge der beiden «Platzhirsche» konnten nicht unterschiedlicher sein. Settelen übernahm 1892 nach mehreren Handwechseln den 1853 mit einem Aktienkapital von 140'000 Franken gegründeten Grossbetrieb «Basler Droschkenanstalt». Die Familie Keller hingegen bewies, dass auch ein kleiner Droschkenhalter eine Chance hatte. Rudolf Keller-Weber (1822*) kam 1846 mit zwei Pferden und Geschirr von Thayngen (SH) nach Basel und offerierte die Bespannung von Fuhrwerken, u. a. für die sog. Beiwagen der Post, für die Überbrückung der Eisenbahnlücke zwischen Haltingen und Basel von 1851 bis 1855. Quasi als Ersatz erwarb er 1855 vier Droschkenkonzessionen. Dazu erweiterte er das Geschäft in kleinen, eher vorsichtigen Schritten. 1894 übergab er sein Lebenswerk seinen drei ältesten Söhnen. Die bestens ausgebildeten Jungunternehmer verstärkten den Droschkenbetrieb und erweiterten die Firma rasch zu einem Mehrspartenbetrieb.

Herkunft und Alltag der Kutscher

Die Kutscher rekrutierten sich häufig aus alt gedienten deutschen Militärs, Fuhrleuten vom Land und vereinzelt auch aus Handwerkern. Die meisten waren ledig - nicht zuletzt wegen der speziellen Arbeitsbedingungen. Ihr Arbeitstag begann kurz nach 5 Uhr mit dem Putzen, Füttern und Tränken der Pferde und endete in der Regel um 22 Uhr. Das Reglement schrieb vor, dass der angestellte Kutscher zu dieser Zeit auf dem Zimmer zu sein hatte. Kam allerdings zu noch späterer Stunde ein Auftrag herein, so durfte ihn sein Meister aus dem Bett holen - und das an sieben Tagen in der Woche und 52 Wochen im Jahr. Von den 17 Stunden Präsenzzeit waren durchschnittlich nur viereinhalb Stunden Fahrzeit, für die Pferdepflege waren weitere vier Stunden aufzuwenden. Also verbrachte der Kutscher die Hälfte seines Arbeitstages damit, auf Kundschaft zu «lauern»! Wen wundert es, wenn viele Kutscher den Ausdruck «Trinkgeld» allzu wörtlich nahmen. Dieses Problem führte häufig zu Entlassungen. Da aber Kutscher mit guten Stadtkenntnissen gesucht waren, brauchte es viel, bis einer arbeitslos wurde.

Offensichtlich griffen die Behörden bei Verstössen scharf durch. «wurden 123 Droschkenführer meist wegen Trunkenheit, Fahrverweigerung und unnöthigem Peitschenknallen verzeigt». 1884 handelte sich Kutscher Gyger wegen zu schnellen Fahrens und Fahren ohne Licht drei Bussen im Betrag von total 34 Franken ein, was deutlich mehr als ein Wochenlohn war. Als er im selben Jahr auch noch durch «Treiben von Allotria» auf dem Centralbahnplatz auffiel, wurde er mit einem einwöchigen Fahrverbot belegt. Noch härter fasste das Polizeigericht ein Jahr später Georg Netzhammer an. Bei einer verbalen Auseinandersetzung beleidigte er das Personal und die Fahrgäste eines Tramomnibusses in gröbster Weise. Das Polizeigericht verknurrte ihn am 22. September 1885 zu drei Tagen Haft und belegte ihn mit einem zeitlich unbegrenzten Fahrverbot als Droschkenkutscher.

Zwölf arbeitsfreie Tage pro Jahr

Die Droschkenkutscher hatten das ganze Jahr hindurch keinen einzigen Tag frei, ausser wenn sie einen Ersatzmann auf eigene Kosten engagierten. Als 1893 Basels Grosser Rat das «Ruhetagsgesetz» erliess, machten im Dezember 49 Droschkenkutscher eine Eingabe an die Polizeidirektion mit der Feststellung: «Im Neuen Arbeitsgesetz sei ihr Berufsstand bezüglich der Sonntagsarbeit übergangen worden.»
Sie forderten, anstelle von freien Sonntagen zwölf freie Tage pro Jahr nach freier Wahl. Offensichtlich waren die Sonntage in Bezug auf Verdienst und Abwechslung attraktiv. Gut betuchte Familien fuhren an schönen Sonntagen gerne über Land, um dann in einer guten Landbeiz ausgiebig zu tafeln. Dabei wurde der Kutscher freigehalten.

Ein beliebtes Ziel war der «Hirschen» im badischen Haltingen, wo man gelegentlich bis zu einem Dutzend Basler Droschken zählen konnte. Typisch für Basel waren auch die winterlichen Wurstschlitten-Fahrten der «jeunesse dorée» zu einem dieser Ziele. In Abwesenheit der sich puritanisch gebenden Eltern ging es bei gutem Essen, Musik und Tanz meist recht ausgelassen zu und her.

Die aus heutiger Sicht äusserst bescheidene Lockerung der Anstellungsbedingungen im Jahre 1893 war Vorbote der sich nach der Jahrhundertwende anbahnenden Humanisierung der Arbeitsverhältnisse in Bezug auf Lohn, Arbeitszeit und soziale Sicherheit.

Die Pflichten des Droschkenkutschiers

Neben dem guten Umgang mit Pferd und Wagen musste der Droschkenkutscher ausgezeichnete Stadtkenntnisse mitbringen. Der perfekte Kutscher wusste nicht nur, wer wo wohnte, er kannte auch die Gepflogenheiten seiner Kundschaft. Jeder Kutscher musste sich bei der Polizeidirektion registrieren lassen. Nachstehende Vorschriften, die bereits 1854 eingeführt wurden, erscheinen uns noch heute plausibel: Der Kutscher durfte das Gespann nicht unbeaufsichtigt verlassen, er musste die ganze Zeit in Sicht- resp. Rufweite seiner Droschke bleiben! Er musste über eine Uhr verfügen und diese wie das Droschkenreglement dem Kunden auf Verlangen vorweisen können. Zu Fahren hatte er - besetzt oder leer - in leichtem Trab (11 bis 12 km/h), nur auf den Holzbrücken musste er ins Schritttempo zurückfallen (6 km/h). Knallen oder weites Ausschwingen mit der Peitsche waren in der Stadt verboten. Er durfte bei besetzter Droschke aus eigenem Antrieb kein Wirtshaus aufzusuchen. Bei steiler Talfahrt hatte er den Wagen zu sperren.

Eher abstrus wirken heute folgende zwei Artikel: Bei besetzter Droschke war es dem Kutscher untersagt, auf dem Bock zu rauchen oder zu schlafen! Bekanntlich findet ein gutes Ross seinen Stall von selbst. Es fiel deshalb nicht besonders auf, dass ein übermüdeter Kutscher auf der Heimfahrt ein Nickerchen machte. Den Pferden hatte er bei Schneefall Glocken, in der Umgangssprache als Geschelle bezeichnet, umzuhängen. Bekanntlich wirkt Schneefall geräuschdämmend und bei schneebedeckter Strasse ist das Rollen der Räder und das Klappern der Hufe kaum mehr hörbar.